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Jürgen Kramer                              Gelsenkirchen27.09.1993

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45879 Gelsenkirchen

              

 Lieber Bernd Göbel,

nach wie vor bin ich der Auffassung, daß der Künstler nicht zu wissen braucht, was es mit seiner Kunst auf sich hat, insofern er ein “Durchgang” ist. Aber insofern er davon weiß, daß er ein “Durchgang” des Werkes ist, ist sein Denken schon erschüttert und von jedem “Bilde Künstler, rede nicht” entsetzt. Vielleicht ist die Reflexion des Künstlers über seine Arbeit ein Entsetzen, das auf ganz andere Weise im Werk selbst imaginiert ist und ständiger Kampf mit dem Engel der Sprachlosigkeit, dem sprachlosen “Fürchte Dich nicht” bedeutet.

Daher hüte man sich davor, in der Rede einen Zugang zum Werk finden zu wollen, d.h. es heimlicher zu machen und so zu verstellen (hier ist der Sinn des Spruches von Sarah Kofmann, den ich auf der vierten Karte “Vom Jasagen” (1992) zitiert habe). Nun über die allgemeine Reflexion hinaus, wird das Werk aber auch von einer Grundstimmung und Befindlichkeit in Anspruch genommen, die nicht allein den Künstler selbst betrifft, in der das Ganze von Zeit und menschlichem Dasein auf abgründige Weise mitschwingen.

Dazu seien einige Betrachtungen und Überlegungen mitgeteilt, die am Rande der Arbeit wuchern - exentrisch sozusagen - und mit dem Vorbehalt, daß ich weder Philosoph, noch ein besonders zuverlässiger Denker bin. so kann ich mich seit Jahren des Verdachts (und des Gefühls) nicht erwehren, die Malerei, die sonst nichts muß, müsse “existential” angesetzt werden. Vielleicht leuchteten ja hier und dort im Gespräch die Bemühungen um den “Freistil” oder “Ent-stil” einer “existentialen Malerei” bereits auf und verlangen nun nach einer (Selbst-)Vergwisserung.

Im Werk selbst sei “imaginiert” ist oben gesagt. Geschieht es tatsächlich so mit und in der Malerei / Kunst? Imagination? Jedenfalls ist hiervon die Inspiration - ein Von-außen, ein Eingegebenes und ein Passives - gemeinsam mit der Intuition - ein Von-innen, ein geistiges Schauen (platonischer Ideen z.B., vgl. Beuys’ Holzobjekt “Intuition - statt Kochbuch”) - vorläufig abzugrenzen. Denn - so ist hier vermutet - es nähert sich die imaginatio (Einbildung) - die vielleicht sowohl mit der Epiphanie (Joyce) und der Illusion (von “il ludere” - ins Spiel gesetzt (Baudrillard)) zusammengeht - am gründlichsten dem Wesen der Malerei (Schein und Sein nicht mehr platonisch/ idealistisch/ metaphysisch).

 In solchen Überlegungen verstrickt, stieß ich unversehens auf den Satz: “Das Dasein ist als die entwerfend-geworfene Gründung die höchste Wirklichkeit im Bereich der Einbildung (...)” (Martin Heidegger, GA 65, 312). So “ nicht nur ein Vermögen der Seele (verstehend)”, nicht für die Kunst vorerst, sondern für das Dasein als Ganzes und Grundlegendes - das “Da-sein”, das an anderer Stelle als Ort bezeichnet ist für “die Vorbereitung der Überwindung des Nihilismus” (ebd. 140/ 141) - ist “Einbildung”, “imaginatio”, das “Geschehnis der Lichtung selbst” und alles Seyn und dessen Eröffnung ein zum vermeintlich Handfesten hinzukommendes Gebilde . Aber alles ist hier umgekehrt, “eingebildet” im gewöhnlichen Sinne ist immer das sogenannte “wirkliche” Vorhandene, hereingebildet, zum Scheinen gebracht in die Lichtung, in das Da” (ebd. 312).

Aber “ein zum vermeintlich handfesten hinzukommendes Gebilde” ist auch das Kunstwerk. Wie geht das zusammen: Dasein, Gebilde, Gemälde? Und wo steht der Mensch, wenn er nicht in irgendeiner biologischen, psychologischen oder anthropologischen Verrechnung bestimmt wird? Daß vielleicht das Kunstwerk auf eine gänzlich unsichtbare und abgründige Weise den Menschen auch in und zu einem Scheinen bringt “in das Da” (seines Seins)?

Um in diese Fragwürdigekeit vorzudringen, muß ein wenig abschweifend die Grundstimmung ins Blickfeld geholt werden, die die alltägliche Verfallenheit, das kunstlose Besorgen der Geschäfte, das “Bestellen des Bestandes”, durchbricht und in einem Riß das Dasein des Einzelnen zurückholt und begründet.

In “Sein und Zeit” wird das Dasein von einer weiteren Seite als Befindlichkei bedacht (SuZ §§ 29, 30, 40), als Stimmung und Gestimmtheit, also hinsichtlich des Gefühls verankert. Dabei sei vorausgeschickt, daß das Gefühl nichts sei, was nur im “Innern” sich abspielt, sondern “das Gefühl ist jene Grundart unseres Daseins, kraft deren und gemäß der wir immer schon über uns weggehoben sind in das so und so uns angehende und nicht angehende Seiende im Ganzen. Stimmung ist (...) zuerst ein so und so Be-stimmen- und Stimmenlassen in der Stimmung. Die Stimmung ist gerade die Grundart, wie wir außerhalb unserer selbst sind. So aber sind wir wesenhaft und stets” (M.H., Nietzsche Bd.1, 118).

Diese “Grundart unseres Daseins” veranschaulicht sich erst recht am Phänomen des “Verfallens”, das als ständige Versuchung des Verlorenseins in die alltägliche Öffentlichkeit des Man charakterisiert ist. “Die Verfallenheit an die ‘Welt’ meint das Aufgehen im Miteinandersein, sofern dieses durch Gerede, Neugier und Zweideutigkeit geführt wird (SuZ 175). Die alltägliche Öffentlichkeit des Man als allgemeines “In-sein” bringt “die beruhigte Selbstsicherheit, das selbstverständliche “Zuhause-sein” in die durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins” (ebd. 188/ 189).

Für den Einzelnen, wie er hier erscheinen soll, ist die Kunst der Riß aus der alltäglichen Öffentlichkeit des Man, der “Knacks” (F. Scott Fitzgerald), der sich in der jeweils besonderen Befindlichkeit, Stimmung und Gefühl auftut. In “Sein und Zeit” (1927) wird dieser Riß durch die Angst verfügt.

Erst die Angst als existentialer Modus und vorzüglich die Angst holt “das Dasein aus seinem verfallenden Aufgehen in die ‘Welt’ zurück” (ebd. 189), die alltägliche Vertrautheit brich in sich zusammen und “In-sein” geht in das “Un-zuhause” über; “Unheimlichkeit” entsteht: “Die verfallende Flucht in das Zuhause der Öffentlichkeit ist Flucht vor dem Unzuhause, das heißt der Unheimlichkeit, die im Dasein als geworfenen, ihm selbst in seinem Sein überantworteten In-der-Welt-sein liegt” (ebd.  189). In der Angst, “die nicht mit der Furcht verwechselt werden darf, versinkt die Welt, worin das Dasein alltäglich existiert, in der Unbedeutsamkeit. In der Nichtigkeit des Bedorgbaren enthüllt sich die Unmöglichkeit des Sichentwerfens auf ein Seinkönnen, das sich primär auf das Besorgen gründet. Darin leuchtet die Möglichkeit eigentlichen Seinkönnens auf” (ebd.). Die “Angst als Grundbefindlichkeit” erst ist die Möglichkeit eines ausgezeichneten Erschließens von Dasein und menschlicher Existenz, zu denen sie und “weil sie vereinzelt” und in der Vereinzelung “das Dasein aus seinem Verfallen zurück(holt)” (ebd. 191). “Die Angst vereinzelt und erschließt so das Dasein als “solus ipse” “ (ebd. 188). Daß und wie die Angst in dieser Erschlossenheit das Nichts offenbart - indem (“dir” und “mir”, also wir selbst mitentgleitend) es einem unheimlich kommt - soll hier ausgespart bleiben (s. M. H., Wegmarken 110 - 117), ebenso wie das berühmte “Sein zum Tode”, weil hier ja nur nicht eigentlich die >Seinsfrage gestellt ist, sondern in die Grundfrage nach der Kunst eingestimmt werden möchte.

Lieber Bernd Göbel, bitte üben Sie Nachsicht mit diesem sicherlich groben Abstieg in die Philosophie (die ha eigentlich ein In-Gang-bringen der Übersteigung, dessen was ist, sein sollte); aber mir ist kein anderes Werk bekannt, das so spannend und gründlich den Bogen von Gefühl und Existenz zu schlagen vermag, wie “Sein und Zeit”. Was mich dergestalt an Heidegger halten läßt, hat mit der Blödigkeit dessen zu tun, was sich heute noch “Theorie” nennt, aber imgrunde sich nur dem Verfallen i. o. S. überlassen hat und meist über das Gerede nicht hinauskommt.

Wie muß nun dieser besagte Bogen für die Malerei geschlagen werden, zumal wenn sie als “existentiale” gelten soll? Wie kann von ihr gesprochen werden? Kann der Künstler soweit auf seinen eigenen Kopf steigen, daß er sich selbst in seinem Tun übersieht? Ist hier eine andere Art von Denken und Dichten nötig, ein Paralleldichten und -denken? In “Die Wahrheit in der Malerei”, der ästhetischen Theorie Jacques Derridas (dt. 1992), ist ja genau in Rede gestellt und befragt, wie etwas in der Malerei gesagt wird. Wer sagt überhasupt, daß die “Logik” die höchste Instanz sei, daß der Verstand das Mittel und das Denken der Weg sei, die hier versammelten Fragen und Grundfragen zu fassen (Wegmarken 107). Vorerst bleibt das Ahnen, möglicherweise in dem versteckten Wechselspiel eines Vernehmens und Sorgens, und die Ahnung, hier weniger als unbestimmtes Gefühl, denn als ein Unmittelbares verstanden (was heißt das alltägliche “dieser oder jener hat Ahnung”?), ist erstester Schritt, um sich mit der Kunst und ihrer Krise zurecht zu empfinden und das zu sagen, daß die Kunst in einer Krise ist, die ihr Wesen und ihr Ganzes betrifft, gerade so wie das auch den Menschen betrifft: der Nihilismus. Solche Grundfragen erahnen zu lassen ist wohl im Augenblick die höchste Möglichkeit, sich dem Werk der Kunst und seinem Verhältnis zum Weggang des Menschen und der Götter beizustehen.

Es versteht sich ja gleichsam von selbst, daß das Kunstwerk auch “Angstgebilde” (s.o.) ist. Ist aber das (Gebilde) Gemälde etwa Sublimierung von Stimmung, von Befindlichkeit in diesem gründlichen Sinn, daß das Dasein vor sich selbst und nicht nur vor dem Künstler gebracht ist? Ist die Beziehung von “Welt” und Werke eine jeweils folgerichtige, oder nicht vielmehr Parallelität und Janus? Und überhaupt, existiert die “Welt” außerhalb des Werkes noch - oder schon - oder jemals ?

Ist hier die Korrespondenz mit der nihilistischen Vor-stellung des Bildes als Gegenstand (Bildfläche/ Bildträger), die die Entwicklung der Moderne herstellt, und ihrem eigentümlichen Verlust des Bildgegenstandes im “Nihil” des scheinenden Bildes? Die Gegenbewegung eines imago/ imaginatio und il-ludere - Imagination als Herbildung und Il-lusion, die Gegewörter eben dieser (Ent-)Vor-stellung als eine Zeugung von her-gestellter Gegenständlichkeit verflüchtigt diese in einer Kehre und Umkehrung im Wesentlichsten: Die wirkliche Einsetzung des Bildes in seine Rechte als ein solches, im Schein.

Und  imaginiert die Kunst ein jeweiliges In-der-Welt-sein (in Abwandlung des anfangs Gesagten), bringt es zum Scheinen, bildet es herein und ist in und dessen Gebilde und zwar sogar so, daß das Gemälde von seinem “Gebilde” garnichts zu wissen braucht, d. h. blind ist (vgl. J. K., Der Fall, Dortmund 1985: “Kunst ist Blindheit”)? Wenn das Kunstwerk so und so gestimmt ist, ist es das gerade auch außerhalb seiner selbst, ekstatisch, also immer schon als Echo des zum Scheinen Gebrachten und abseits des jeweils bildimmanenten und -transzendenten Gegenständlichen, dessen beider es anscheinend bedarf. Daher geht auch Kunst dem Künstlerischen voraus. Und insofern nicht dies alles zur Fragwürdigkeit  im einzelnen wie zur Gänze erhoben wird, steht auch das Ganze der Malerei und Kunst “auf dem Spiel” (Il-lusion) und mit ihr folgerichtig der Mensch als Ganzes und Selbst, solus ipse.

Herzlichst

Ihr

Jürgen Kramer

P.S.: Ich habe das Lachen ganz vergessen!